Vor dem letztjährigen Winter mussten wir uns mit ungewohnten Problemstellungen befassen: «Drohende Strommangellage» war in aller Munde – und zwar nicht theoretisch, sondern ganz akut. Hinzu kamen massiv erhöhte Energiepreise. Im Rekordtempo wurden politische Rahmenbedingungen gesetzt, dank Wasserkraft zuverlässige Speicherreserven aufgebaut, Rettungsschirme aufgespannt und Reservekraftwerke realisiert. Gezeigt hat sich dabei aber auch: Zukunftsgerichtete Klimapolitik ist mehrheitsfähig geworden. Es scheint fast so, als hätte die Energiekrise Mut und Kraft freigesetzt. Den Mut, ambitionierte Ziele zu setzen und die Kraft, entsprechende Entscheide zu fällen. Denn nach dem Volks-Nein zum CO2-Gesetz im Sommer 2021 herrschte eine eigentliche Blockade. Mit dem indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative, dem Klimaschutzgesetz, hat das nationale Parlament diese beseitigt. Es hat ein Gesetz verabschiedet, welches Ziele hin zu Netto-Null 2050 definiert, Innovationen fördert und einen «Booster» für den Heizungsersatz sowie Effizienzmassnahmen implementiert. Dieses Klimaschutzgesetz hat sich in der Folge auch als referendumsresistent erwiesen und wurde vom Volk deutlich mit 59,1 % Ja-Stimmen angenommen.

Energieversorgungssicherheit mitdenken

Für nachhaltige Lösungen im Energiebereich scheint mir für die Zukunft wichtig: Silodenken durchbrechen. Klimaschutz ist wichtig, Umweltschutz ist wichtig, Biodiversität ist wichtig, Natur- und Heimatschutz ist wichtig – wer wollte dem widersprechen? Aber die Energieversorgungssicherheit ist zwingend und dringend immer mitzudenken. Somit ist klar: Es muss eine Schutz-Nutzen-Diskussion geführt werden. Wieviel Nutzen im Verhältnis zu wieviel Schutz? Realistischerweise werden wir nicht darum herumkommen, zugunsten eines beschleunigten Aus- und Zubaus von Solar-, Wasser- und Windkraftanlagen im Landschaftsschutz vernünftige Abstriche zu machen. Unsere Vorstellungen, wie unsere Landschaft idealerweise auszusehen hat, sollten wir überdenken. Dabei müssen wir uns selbstverständlich nicht an ein gänzlich anderes Landschaftsbild gewöhnen – aber etwas weniger «Ballenberg» und etwas mehr Fortschritt schadet nicht. So wünsche ich mir, dass zum Beispiel Solar- und Windkraftanlagen auf dafür geeigneten Freiflächen nicht schon von vorneherein als Eingriff und damit negativ gesehen werden, sondern durchaus auch als Bereicherung. Oder dass neue Möglichkeiten für einen Ausbau der Wasserkraft unvoreingenommen geprüft und wo sinnvoll konsequent umgesetzt werden. Dabei gilt es selbstverständlich jeweils Mass zu halten. Die zusätzliche Energiegewinnung muss stets in einem vernünftigen Verhältnis zu den Umwelteinwirkungen stehen.

Gemeinsam die Probleme lösen

Das alles sind keine einfachen Diskussionen. Indem aber verschiedene Seiten aufeinander zugehen und die sprichwörtlichen Kröten schlucken, sind auch in Zukunft mehrheitsfähige Kompromisse möglich. Genau so geht konstruktive Politik – wenn nicht das eigene Parteiprogramm oder das eigene Renommee in Zentrum steht, sondern der Wille zur Lösung eines Problems zum Wohle der ganzen Bevölkerung.

Mein persönliches Fazit: Oberstes Ziel einer konstruktiven zukunftsgerichteten Energie- und Klimapolitik muss die Mehrheitsfähigkeit sein. Sonst droht Blockade und Stillstand. Dies ist für den Standort Schweiz in verschiedener Hinsicht schädlich – ökologisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich. Das Erfolgsrezept ist das Zusammenspiel zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Packen wir es an und bleiben wir dran – es lohnt sich!

 

Susanne Vincenz-Stauffacher
Nationalrätin, Mitglied der UREK-N
Präsidentin Schweizerischer
Wasserwirtschaftsverband
Vorstandsmitglied swisscleantech