Gesamtheitliche Analyse und Betrachtung eines Gebäudes

In der Schweiz gibt es rund 1,8 Millionen beheizte Gebäude. Davon entsprechen 1,5 Millionen nicht mehr den heutigen Energiestandards. Um die schweizerischen Ziele der Energiestrategie 2050 zu erreichen, müssten jährlich mindestens 3 % saniert werden. Aktuell sind es weniger als 1 %. Die Umsetzung scheitert oft an mehreren Faktoren. Um zu beginnen; fast 50 % der Immobilien sind in Händen von Personen im Pensionsalter, die diese Aufgabe oftmals lieber den Erben überlassen wollen. Bei einer Sanierung ist zentral das Gebäude gesamtheitlich zu analysieren, sprich sich jedes Mal mit der Frage der Gebäudehülle, der Energiebereitstellung mittels z.B. Photovoltaikanlagen, der Energiespeicherung, der Konnektivität im Gebäude und des adäquaten Netzanschlusses zu befassen. Wenn all diese Elemente konsequent analysiert und angewandt werden, steigern die Hausbesitzer/-innen mittelfristig nicht nur den Wert ihrer Immobilie, sondern senken kurzfristig vor allem auch ihre Betriebskosten und hinterlassen langfristig den Erben ein zukunftstaugliches Erbe . Optimistisch stimmt uns die Tatsache, dass die Hausbesitzer/-innen die gesamtheitliche Betrachtung immer besser verstehen, dies z.B. dank Initiativen wie jener der Energie- und Klima -Talks der Kantone Bern und Neuenburg, die jährlich über tausend Immobilienbesitzende in diesen Kantonen mit dem notwendigen Wissen versorgen.

Die Rolle der Gemeinden in der Energiewende

Die Energiewende findet in den Gemeinden statt. 1700 der rund 2200 Gemeinden sind Kleingemeinden und funktionieren im Milizsystem. Diese Gemeinden sind hinsichtlich der Erarbeitung von Energiestrategien oft überfordert. Die hohe Verschuldung belastet viele von ihnen und erlaubt mit den traditionellen Finanzinstrumenten praktisch keine Energiewende, es sei denn die Projekte werden durch einen externen Contractor umgesetzt, wobei aber der gesamte Profit der Gemeinde entzogen wird. Dies mag in einigen Fällen eine gute Lösung sein. Jedoch ist es gleichermassen wichtig, dass der Besitz und die Wertschöpfung der Energieerzeugung in den Gemeinden bleibt und diese energetisch so unabhängig wie möglich werden. Um dies sicherzustellen, gibt es neue Modelle wie jenes der Innergia SA. Diese Firma vergibt den Gemeinden dank Pensionskassengeldern Bürgschaften, um energetische Infrastruktur aufzubauen. Speziell am Modell ist, dass die Finanzierung über eine gemeinnützige Aktiengesellschaft läuft, die der Gemeinde und der Gemeindegenossenschaft gehört und die Energie den lokalen Abnehmenden zum Selbstkostenpreis abgegeben wird. Somit sind die Gemeinden energetisch unabhängiger und müssen ihr Gemeindebudget nicht belasten und das lokale Gewerbe und die Haushalte sind Energiepreisschwankungen weniger ausgesetzt.

Die Graue Energie bei Sanierungen und Neubauten

Wenn die Graue Energie, sprich die Energie, die für die Herstellung von Baumaterialien im Gebäudesektor benötigt wird, berücksichtigt wird, betragen die CO2-Emmissionen des Gebäudeparks in der Schweiz über 40 %. Oft ziehen Architekt/-innen, Bau- und Generalunternehmen Neubauten einer Sanierung vor. Dies führt zu grossen Abrissquoten, die reduziert werden könnten, wenn sich Investor/-innen, Architekt/-innen, Planer/-innen und Generalunternehmungen vermehrt dem Paradigmenwechsel stellen würden. Erste Priorität soll dabei nicht mehr die Raum- und Gebäudeplanung sein, sondern die Vision. Es sollen sich Fragen des Lebenszyklus, der eingesetzten, wenn möglich lokalen oder wiederverwendeten, Materialien gestellt werden und erst im zweiten Schritt die Raumplanung. Im heutigen Ausschreibungsprozess hat die Wiedernutzung von Abbruchmaterial kaum Chancen und deshalb benötigt die Schweiz dazu klare Rahmenbedingungen und ein Umdenken der Planungsverantwortlichen.  Nur alleine durch den Rückbau werden in der Schweiz jährlich über 17 Millionen Tonnen Material produziert; davon werden über ein Drittel deponiert. Dieses Deponievolumen entspricht jährlich 18 mal dem Gesamtgewicht des Eiffelturms. Diese Materialien sollten künftig wiederverwendet werden. Es ist heute möglich aus verschiedensten Abbruchelementen, neue Bausteine zu kreieren. Dies ist nicht nur beim Zement der Fall. So erstellt seit diesem Jahr z.B. das energie-cluster-Mitglied Swisspor Dämmungsmaterial ausschliesslich aus Bauschutt. Die Dämmmaterialien können am Ende des Lebenszyklus der Immobilie wieder verwendet werden.

Netzdienliches Laden

Ab 2035 wird man auch in der Schweiz, aufgrund der EU-Verbots für Neuwagen mit Verbrennungsmotor, überwiegend mit elektrisch betriebenen Fahrzeugen unterwegs sein. Das netzdienliche Laden von Elektrofahrzeugen zur Optimierung des Eigenverbrauchs in Gebäuden, zur Stabilisierung des Stromnetzes sowie zur Verfügungstellung von Regelleistung für das nationale Übertragungsnetz ist ein Grundpfeiler für das künftige Energiesystem. Mit dem netzdienlichen Laden können künftig Steuergelder für den Netzausbau in Milliardenhöhe gespart werden. Hierzu wird ein bedarfsgerechtes Lastmanagement für AC- und DC-Ladestationen benötigt. Bidirektionalität von Fahrzeugen und Ladestationen können zusätzlich nicht nur smart laden, sondern auch netzdienlich entladen: die Technologie existiert und funktioniert. Die Lösung des energie-cluster.ch-Mitglieds sun2wheel beweist dies.

Frank Schürch, lic. rer. pol. UNIL
ist Geschäftsleiter beim Netzwerk
energie-cluster.ch