Die knappe Ablehnung des CO2-Gesetzes im Sommer 2021 hat die Energie- und Klimawende in der Schweiz zurückgeworfen. Nun fehlen wichtige Anreize, um den Umbau der Energieversorgung zu beschleunigen, um Innovation zu fördern und klimafreundliche Technologien in den Markt zu bringen.

Immerhin hat die überparteiliche Allianz, die das CO2-Gesetz im Parlament mitgetragen hat, schon wenige Tage nach dem Abstimmungssonntag ein Übergangsgesetz vorgeschlagen. Es schreibt zumindest die wichtigsten Instrumente des alten CO2-Gesetzes bis 2024 fort. Bis dann muss sich das Parlament auf einen neuen Weg verständigen. Der Prozess hat mit einem indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative bereits begonnen.

Brückenbauer*innen sind gefragt

Damit rasch über ein ehrgeiziges und mehrheitsfähiges neues Klimagesetz entschieden werden kann, ist ein intensiver Austausch von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nötig. Und zwar ab sofort und nicht erst kurz vor Torschluss. Wir brauchen innovative Cleantech-Unternehmen, die den Vertreter*innen der bürgerlichen Parteien immer wieder zeigen, dass Dekarbonisierung eine wirtschaftliche Chance ist und attraktive Arbeitsplätze schafft. Wir brauchen Gemeinden und Kantone, die nach der Ablehnung des nationalen Klimafonds in den raschen Umbau der Energie- und Verkehrs-Infrastruktur investieren und den Best-Practice-Wettbewerb befeuern. Wir brauchen einen Bundesrat, der nach dem knappen Nein zum CO2-Gesetz nicht mutlos den Kopf in den Sand steckt, sondern mit Herzblut und Leidenschaft für jede eingesparte Tonne CO2 kämpft. 

Dass sich Hartnäckigkeit lohnt, haben die politische Entscheidungen der letzten Wochen gezeigt. In den Kantonen Glarus und Bern stimmte die Bevölkerung dem Verbot neuer Ölheizungen und einem Klimaschutzartikel zu. Und in der Herbstsession haben beide Räte praktisch einstimmig eine Initiative von Bastien Girod zum Zubau von erneuerbarer Energie beschlossen. Die zusätzliche Förderung entspricht fast der Hälfte der jährlichen Stromproduktion der Schweizer AKW. Das ist ein weiterer wichtige Schritt für die Energiewende – und damit für den Klimaschutz. 

Die Klima- und Energiewende bleibt prioritär

Trotz dieser Fortschritte stehen die Zeichen auf Sturm. Der sechste Sachstandsbericht des Weltklimarates spricht eine klare Sprache: Nur eine schnelle und umfassende Reduktion von Treibhausgasen kann die globale Erderwärmung noch auf 1,5 oder zumindest auf zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter begrenzen. Mit den aktuell beschlossenen Massnahmen wird das 1,5-Grad-Ziel bereits in den 2030er Jahren überschritten: «Die jüngsten Klimaveränderungen sind weitverbreitet, schnell, verstärken sich und sind seit Jahrtausenden beispiellos», sagt der Weltklimarat. Das ist mehr als beunruhigend. Die steigenden Benzin- und Gaspreise offenbaren gleichzeitig die fatale Abhängigkeit der europäischen Länder von Energie-Weltmächten wie Russland oder Saudi-Arabien. 

Umso dringlicher ist es, dass die Schweiz rasch auf eine erneuerbare, CO2-neutrale und einheimische Energieversorgung umstellt. Anstatt jährlich Milliarden von Franken für die Abhängigkeit vom Ausland zu zahlen, schaffen wir mit der Energiewende Arbeit und Wertschöpfung in der Schweiz. So werden Klimaschutz und Versorgungssicherheit zwei Seiten der gleichen Medaille: Nachhaltige Zukunft! 

Balthasar Glättli ist Nationalrat und Präsident GRÜNE Schweiz. Präsident des Mieterinnen- und Mieterverbandes Deutschschweiz (MVD) und Mitglied des Initiativekomitees der Gletscherinitiative.