An vielen Orten der trockenste Sommer, Rekordschmelze bei den Gletschern, der wärmste Oktober in der Schweiz seit Messbeginn: Der Klimawandel ist nicht mehr eine vage Gefahr Ende Jahrhundert auf einem anderen Kontinent, sondern hier und jetzt. Einzelne Querdenker werden immer bleiben, aber es gibt keine ernstzunehmenden Stimmen mehr, die die Ursachen und Folgen abstreiten. Aber wie politisch darauf reagieren?

Die Diskrepanz ist gross

Mit dem Übereinkommen von Paris 2015 haben die Staaten sich erstmals das Ziel gesetzt, die Erwärmung auf deutlich unter 2 °C zu begrenzen, idealerweise auf 1,5 °C. Die Umsetzung hingegen harzt gewaltig – die Fakten des Klimas bestimmen eben noch nicht die politischen Entscheide. Die Gründe sind vielseitig, aber was bleibt, ist für fast alle Länder eine gleich doppelt ungenügende Note: Die Verpflichtungen der Länder für Treibhausgas-Reduktionsziele sind ungenügend. Aber mehr noch, die Massnahmen sind sogar für die ungenügenden Ziele unzureichend. Zwar hat die heutige globale Klimapolitik die schlimmsten Szenarien von 4 °C und mehr unwahrscheinlich gemacht, mit der heutigen Politik würden wir bei etwa 3 °C landen. Die Zusagen bei den Verhandlungen führen uns jedoch immer noch auf mehr als 2 °C. Die Ziellücke zwischen dem was wir tun und dem was wir tun sollten, bleibt unverändert gross.

Schlimmer noch: Klimaschutz wird auf den ersten Blick auch noch von der Pandemie, dem Krieg, der Inflation und einer drohenden Energiekrise in den Hintergrund gedrängt. Bei genauerer Betrachtung hingegen sieht man als verbindendes Element eine Serie von Krisen. Krisen, die viele klar vorausgesagt haben, aber weitgehend ignoriert wurden. Wir haben uns vom kurzfristigen Maximieren des Gewinns blenden lassen und sind verwundbar und abhängig geworden. Haben strukturelle Probleme ignoriert und Privilegien als selbstverständlich erachtet. Heute geklickt, morgen geliefert, egal was und von wo, Hauptsache billig. Bis zum Punkt wo es nicht mehr geliefert wird, so wie das Gas aus Russland oder der Strom aus Frankreich.

Ambitioniertes Klimaziel fokussieren

Dass ein ambitioniertes Klimaziel langfristig günstiger ist, war schon lange klar. Die vermiedenen Klimaschäden sind grösser als die Investitionen ins Energiesystem, von denen viele sowieso irgendwann anfallen. Aber mit der drohenden Energiekrise ist allen bewusst geworden, dass ein fossiles Energiesystem auch kurzfristig ein riesiges geopolitisches Risiko mit gefährlichen Abhängigkeiten von zweifelhaften Staaten ist. Der massive Ausbau der erneuerbaren Energien hilft nicht nur dem Klimaschutz, sondern auch der Versorgungssicherheit der Schweiz. Neben dem erklärten Netto-Null-Ziel 2050, das nicht mehr als eine Absichtserklärung ist, braucht es jetzt griffige politische Instrumente und Pioniere, die vorausgehen. Halbieren der Treibhausgase bis 2030, Elektromobilität, Gebäudesanierungen, keine neuen Investitionen in fossile Infrastruktur, weniger Lebensmittelverschwendung, Innovation und Skalierung im Bereich CO2-Entfernung aus der Luft und synthetische Treibstoffe sowie ein schneller Ausbau von Solar, Wind und dem Restpotential der Wasserkraft.

Ein ambitioniertes Klimaziel und die Energiewende sind bezahlbar und möglich, wenn wir statt politischen Grabenkämpfen die Zukunft und Resilienz unseres Landes ins Zentrum stellen. Damit uns die nächste Krise nicht wieder aus der Bahn wirft.

Reto Knutti ist Professor für Klimaphysik und Vorsitzender des Center for Climate Systems Modeling an der ETH Zürich. Er lehrt und forscht zu Klimaszenarien und ist eine prominente Stimme in Medien, Wirtschaft und Politik bei Fragen zu Klima, Energie, Nachhaltigkeit und der Rolle der Wissenschaft.