Spätestens nach diesem Jahr wird niemand mehr sagen können, wir hätten um die Konsequenzen unseres heutigen Lebensstils nicht gewusst. Im September 2019 zeichnete der Weltklimarat IPCC mit seinem jüngsten Sonderbericht zum Klimawandel erneut ein alarmierendes Bild davon, was uns in nicht allzu ferner Zukunft erwartet, wenn der Treibhausgas-Ausstoss nicht drastisch verringert wird.

Sofort und umfassend handeln

Schon vier Monate davor hatte ein anderes globales Wissenschaftsgremium die Alarmglocken geschlagen: Der Weltbiodiversitätsrat IPBES. Der Zustand der Natur sei weltweit dramatisch schlecht, warnten die 150 Expertinnen und Experten aus 50 Ländern Anfang Mai, und verschlechtere sich in immer rasanterem Tempo. Bis zu einer Million von insgesamt acht Millionen Tier- und Pflanzenarten könnten demnächst definitiv von der Erde verschwunden sein. Mit verheerenden Folgen auch für die Menschheit: Wenn die Natur wichtige Ökosystemleistungen wie etwa die Bestäubung, fruchtbare Böden oder die Speicherung von CO2 nicht mehr erbringen kann, ist unser aller Existenz fundamental bedroht. 

Die Schlussfolgerungen der beiden Wissenschaftsgremien sind – nicht überraschend – sehr ähnlich: Es gilt sofort und umfassend zu handeln. Vor allem aber: Es braucht einen grundlegenden Wandel unseres Umgangs mit natürlichen Ressourcen, wenn wir unsere Lebensgrundlagen langfristig sichern möchten. Der Weltbiodiversitätsrat sagt es deutlich: Wir brauchen Visionen für ein «gutes Leben» ohne ständig steigenden Mehrverbrauch an Material und Konsumgütern.

Das Gesamtsystem in den Blick nehmen

Damit sind wir denn bei der Energie angelangt, deren Verfügbarkeit für unsere heutige Lebensweise eine so zentrale Rolle spielt: Auch und gerade beim Thema Energie gilt es der Illusion entgegenzutreten, wir könnten den drohenden Kollaps verhindern, ohne unser Konsumverhalten zu ändern und unseren Ressourcenverbrauch drastisch zu senken. Nachhaltige Energieproduktion, technologische Innovationen und Effizienzsteigerung sind von grösster Bedeutung, aber sie lösen das Problem nicht – nicht in der Schweiz und noch weniger für die Weltgegenden, auf deren Kosten wir in den industrialisierten Ländern leben.

So wenig wie AKWs noch Zukunft haben, so wenig werden wir bei der Umstellung von fossilen auf (neue) erneuerbare Energieträger darum herumkommen, das Gesamtsystem in den Blick zu nehmen; dazu gehören ganz besonders die Auswirkungen auf die Biodiversität hier und in anderen Weltregionen. Auch der Umstieg auf Elektromobilität wird uns nicht retten, solange wir nicht bereit sind, unsere Mobilität insgesamt drastisch zu reduzieren: Zu gewaltig wäre der zusätzliche Strombedarf, wenn der motorisierte Individualverkehr auf heutigem Niveau bleibt oder noch mehr zunimmt, vom steigenden Verbrauch an Boden und vom Rohstoffverschleiss bei der Batterieherstellung ganz zu schweigen.

Politischer Wille ist gefragt

Der Weg in eine naturverträgliche (Energie-)Zukunft wird kein Sonntagsspaziergang. Es braucht den politischen Willen, die Weichen in allen Sektoren neu zu stellen und dabei auch Massnahmen zu treffen, welche heute noch unpopulär scheinen mögen. 

2020 als Abschlussjahr der Uno-Biodiversitäts-Dekade würde sich jedoch gut eignen, um den Schutz der Ökosysteme und ihrer überlebenswichtigen Dienstleistungen endlich auf höchster Ebene als Querschnittaufgabe anzuerkennen. Eine Aufgabe, an welcher auch und gerade der Energiesektor nicht vorbeikommt.

Stella Jegher leitet die Abteilung Politik und Internationales im Zentralsekretariat von 
Pro Natura. www.pronatura.ch

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